Bürger entscheiden über Abwahl von Bürgermeister Rainer Bersch

Die Gemeindevertretung Groß-Rohrheim hat Bürgermeister Rainer Bersch abgewählt – das letzte Wort haben aber die Bürgerinnen und Bürger am 8. Oktober. Foto: Hannelore Nowacki
GROSS-ROHRHEIM – Die 17. Sitzung der Gemeindevertretung in dieser Wahlperiode am Mittwochabend war keine gewöhnliche Sitzung. Viele Bürger wollten das Geschehen verfolgen, so entschied der Vorsitzende der Gemeindevertretung kurzfristig, die Sitzung in den größeren Raum im Treff 21 zu verlegen, größer als der Rathaussaal, aber nicht ausreichend für die schätzungsweise über fünfzig Zuhörer, die zum Teil stehen mussten. Zu Beginn erhielt LiGR-Fraktionsmitglied Ella Bersch das Wort für eine persönliche Stellungnahme, in der sie sich gegen falsche Anschuldigungen wehrte, die in Facebook, Instagram, im Groß-Rohrheimer Anzeiger und auf der SPD-Homepage verbreitet worden seien. Noch nie habe sie Unterschriften gegen den Maimarkt gesammelt. Doch habe es die SPD abgelehnt für diese Fake News Verantwortung zu übernehmen. „Und die Moral von der Geschichte? Die gibt es wie bereits erwähnt, leider nicht bei der SPD Groß-Rohrheim“. Tosender Applaus des Publikums folgte. Als Bürgermeister Rainer Bersch am Ende der Sitzung darauf zu sprechen kam, spendete das Publikum Applaus im Stehen. Bersch sprach von einer hetzenden anonymen Meute im Internet, die nicht den Mut habe Gesicht zu zeigen, wenn es darauf ankommt. Den Bürgern dankte er für das zahlreiche Erscheinen und die Unterstützung. Seine Gegner hatten ihren Antrag auf Abwahl mit der Mehrheit von 13 Stimmen von insgesamt 19 Gemeindevertretern durchgesetzt. In der mündlichen Begründung bezichtigte Antragsteller und SPD-Fraktionsvorsitzender Horst Menger Bersch der Lüge. Antragsteller und Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler – Bürger für Groß-Rohrheim Walter Öhlenschläger, sagte, das Vertrauensverhältnis sei unrettbar gestört und sprach von Vetternwirtschaft in Bezug auf den Feuerwehrmann, der ein Patenkind sei. „Für die Presse ist es oftmals schwer, einen solchen komplexen Vorgang zu verstehen“, meinte Öhlenschläger in seinem Redebeitrag. Die sechs Nein-Stimmen kamen von der kompletten Fraktion Leben in Groß-Rohrheim (LiGR), der Tochter Ella Bersch und Ehefrau Heike Kiefer-Bersch angehören. Auch zwei Gemeindevertreter der CDU hatten mit Nein gestimmt. Der Antrag war von acht Gemeindevertretern der SPD, vier von den Freien Wählern – Bürger für Groß-Rohrheim (FW) und einem CDU-Fraktionsmitglied gestellt worden. Schon bei der Begrüßung kam es zu einer Unstimmigkeit, da der Vorsitzende der Gemeindevertretung Torsten Henzel (SPD) Bürgermeister Rainer Bersch in seiner Aufzählung vergaß, darauf machte Bersch kurz aufmerksam. Beschlossen wurde sogleich der Termin des Bürgerentscheids am 8. Oktober, zugleich mit der Landtagswahl. Wenn Bürgermeister Bersch die Abwahl nicht annimmt, sind die wahlberechtigten Bürger aufgerufen zu entscheiden, ob er weiter im Amt bleibt. Die Frist läuft bis kommenden Mittwoch. Wie Bürgermeister Bersch dem TiP gegenüber erklärte, wolle er sich bis dahin mit seiner Familie beraten. Die Vorwürfe gegen ihn seien von berufenen Stellen wie der Kommunalaufsicht, vom Landrat und vom Hessischen Städte- und Gemeindebund entkräftet worden, letzterer sei von der Gemeindevertretung angefragt worden. „Ich habe ein starkes Rückgrat und lasse mich nicht verbiegen“, sagte Bersch dem TiP, „danach habe ich die ganze Zeit gehandelt, bei allen meinen Entscheidungen. Wenn ich etwas mache, stehe ich dahinter“. Bei der Versetzung sei es um Arbeitsrecht gegangen, die Bauhof-Mitarbeiter seien nicht gezwungen gewesen, zum KMB zu wechseln. Der Haushalt 2023 wurde in dieser Sitzung beschlossen, der Investitionsplan einstimmig, der Verzicht auf ein Haushaltssicherungskonzept 2023 bis 2026 mit großer Mehrheit. Beim Stellenplan enthielten sich zwölf Parlamentarier, sieben stimmten zu. Die Haushaltssatzung wurde einstimmig beschlossen.

Eng ging es bei der Sitzung der Gemeindevertretung im Ausweichquartier Treff 21 zu. Die zahlreichen Zuhörer mussten teilweise stehen. Am Ende erhoben sich die Zuhörer und spendeten Bürgermeister Rainer Bersch Applaus (vorne im Bild Teile der SPD- und FW-Fraktion). Foto: Hannelore Nowacki
Damit ist die Gemeinde voll handlungsfähig. Bürgermeister Bersch hatte eine Auflistung der Sitzungen schriftlich vorgelegt und trug sie mündlich vor, um zu belegen, dass der Haushalt bereits am 28. März hätte verabschiedet werden können und somit der Maimarkt gesichert gewesen wäre. Mit Mehrheit beschlossen wurde die Einrichtung eines Akteneinsichtsausschusses, um alle Verträge und mündlichen Vereinbarungen zu kontrollieren. Dagegen hatten sich LiGR und CDU ausgesprochen. Dieter Engert, Sprecher der Fraktion Leben in Groß-Rohrheim (LiGR) kritisierte den Ausschuss als überflüssig, weil die Verträge bereits allen Gemeindevertretern vorgelegen hätten. Das sah auch CDU-Fraktionsvorsitzender Kurt Kautzmann so, es sei „rausgeschmissenes Geld“ und laut Landrat sei der Mann rechtmäßig eingestellt, also „ein total sinnloses Unterfangen“. Dieter Engert kritisierte das Vorgehen als unlogisch, wenn die SPD einen Akteneinsichtsausschuss beantragt, aber sogleich auch die Abwahl des Bürgermeisters, ohne die Ausschuss-Ergebnisse abzuwarten. „Ich vermute, dass die Ergebnisse nicht in eurem Sinne ausfallen, deshalb der Abwahl-Antrag“. Hannelore Nowacki
Kommentar
Was ist in Groß-Rohrheim nur los? Da geht es über Monate um einen bewährten Feuerwehrmann, der nach der Übertragung des Bauhofs an den KMB nicht dorthin wechseln will und in die Verwaltung versetzt wird. Bürgermeister Bersch wollte damit die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr und die Sicherheit der Bevölkerung erhalten, wie er immer wieder sagte. Der Haushalt 2023 wurde über Monate samt Haushaltssicherungskonzept intensiv von den Gemeindevertretern bearbeitet, aber wegen dieser einen Stelle nicht rechtzeitig verabschiedet. Der diesjährige Maimarkt wäre zu retten gewesen. Der Bürgermeister bekommt Rückenwind von Stellen, die es wissen müssen. Aber seine politischen Widersacher sind nicht zufrieden, stellten ganz schnell noch ihren Antrag auf Abwahl, so dass die Tagesordnung kurzfristig geändert wurde. Kein Vertrauen mehr, heißt es von ihrer Seite. Dass die Unstimmigkeiten schon Jahre andauern, ist kein Geheimnis. Zu bedenken ist: Bürgermeister Bersch ist vom Volk gewählt, schon dreimal mit 60,9 Prozent 2008, mit 79,4 Prozent 2014 und 62,2 Prozent 2020. Auch die Gemeindevertreter sind vom Volk gewählt. Es geht hier also um Demokratie. Es geht um Entscheidungen mit Bedeutung weit über die Grenzen von Groß-Rohrheim hinaus. Es geht um Respekt gegenüber dem Bürgermeister und Menschen Rainer Bersch und seiner Familie. Hannelore Nowacki