„Photovoltaik gehört auf die Dächer“

Beim Gespräch mit dem TIP mit Blick auf die weite Landschaft am Rhein, erklärten die Landwirte wie aus ihrer Sicht Energiewende, Klimaschutz und der Erhalt landwirtschaftlicher Flächen funktionieren kann. Auch bei der Rheindeich-Rückverlegung sei mit Zustimmung der Landwirte eine gemeinsame Lösung mit der Stadt Lampertheim gefunden worden. Seitdem sind 10 Hektar in Baden-Württemberg im Besitz der Stadt Lampertheim. Foto: Hannelore Nowacki
LAMPERTHEIM – Was in der Stadtverordnetenversammlung am 8. Mai mit den Stimmen von SPD, FDP und den Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion beschlossen wurde, bedeutet für die Lampertheimer Landwirte weiteren Flächenverlust von mehr als 5 Hektar im Bruch am südlichen Ortsrand von Lampertheim, östlich und westlich der Bahnlinie Mannheim-Frankfurt. Gemüseanbau zur regionalen Versorgung der Menschen in Lampertheim und Umgebung, im Schnittpunkt zweier Metropolregionen mit vier Millionen Einwohnern, brauche diese Fläche. Im Gespräch mit dem TIP unter freiem Himmel machten drei Landwirte deutlich, dass die geplante Errichtung von Photovoltaikanlagen auf bestem Ackerboden in der Nachbarschaft von Auenwald und Wiesen mit Lebensraum für viele Tiere nicht hingenommen werden könne. Zugleich werben sie um Unterstützung der Mitbürger und Verbraucher, die sich für eine nachhaltige Ernährungssicherung „vor ihrer Haustüre“ einsetzen wollen. „Wir Landwirte sind fassungslos“, sagt Landwirt Dr. Willi Billau zu diesem Vorhaben des kommunalen Versorgers Energieried und der Haltung der Lokalpolitiker, die bei Gelegenheit stets die Bedeutung der regionalen Landwirtschaft für die Lebensqualität im Ried betonten. Als Vorsitzender des Regionalbauernverbandes Starkenburg habe er gemeinsam mit dem Bauernverband Lampertheim und den Landwirten bereits seit letztem Jahr alle Kräfte mobilisiert, um Energieried und der Stadt Lampertheim andere, sinnvollere Lösungen vorzuschlagen. Denn „Photovoltaik gehört auf die Dächer“, davon sind auch Gerd Knecht, Vorsitzender des Lampertheimer Bauernverbandes, und Gemüsebauer Karl-Heinz Schmidt überzeugt. Mit gutem Beispiel seien die Landwirte seit Jahren vorangegangen und haben ihre Hallendächer weitgehend mit Photovoltaikanlagen bestückt. Knecht schätzt, dass 70 Prozent der gesamten Lampertheimer Solarenergie auf diesen Dächern produziert wird. Allerdings rentiere sich ein weiterer Ausbau zurzeit nicht, weil die Einspeisevergütung auf 9 Cent pro Kilowattstunde reduziert wurde, während die Verbraucher 30 Cent zu zahlen haben. Erfahren hatten die Landwirte von der geplanten Photovoltaikanlage anlässlich der Kündigung ihrer Pachtverträge im Herbst vergangenen Jahres. Ab 1. November 2021 soll das städtische Gelände an Energieried verpachtet werden. Nur weil das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) solche Freiflächen entlang von Bahntrassen fördert, werde diese Photovoltaikanlage realisiert, kritisieren die Landwirte das Vorhaben, das sich sonst nicht lohnen würde. Ein „Unsinn“.
Bauern für nachhaltige Wirtschaftsweise
Als sinnvollere Alternativen haben die Landwirte der Stadt Lampertheim aufgefüllte Kiesgruben vorgeschlagen, wie bei Kies Kern oder ehemals Kies Knödler in Schwimmbadnähe vorhanden. Beide Flächen böten ebenfalls jeweils mehr als 5 Hektar für eine aufgeständerte Photovoltaikanlage, seien jedoch für landwirtschaftliche Zwecke nicht brauchbar. Auch im Arbeitskreis Energie, in dem die Landwirtschaft mit einem Sitz vertreten ist, haben die Landwirte ihre Lösungsvorschläge vorgestellt. So können Dächer von großen öffentlichen Gebäuden mit Photovoltaik ausgestattet werden. Möglicherweise sei die BASF interessiert, auf ihrem Gelände Photovoltaik zu installieren – die Stadt Lampertheim sollte das Gespräch suchen, finden die Landwirte. Für den Klimaschutz durch erneuerbare Energien haben die Landwirte noch eine weitere Idee – wie früher mit den Rheinmühlen könnte die Wasserkraft des Rheins genutzt werden, jetzt für eine kontinuierliche Stromversorgung. Geeignet für Photovoltaikanlagen seien die Dächer großer Logistikhallen wie in Bürstadt, meint Billau. Ist Landwirtschaft unter einer aufgeständerten Photovoltaikanlage im Bruch möglich? Auf diese entscheidende Frage haben die Landwirte eine Antwort: Feldgemüse wie Kartoffeln, Zwiebeln oder Bohnen wird unter den Anlagen nicht wachsen können. Maschinengängig müsste die Anlage zudem sein, was wegen der Ständer nicht zu erwarten sei. Eine Beregnung wie bisher wäre nicht möglich. Erst im vergangenen Jahr sei auf eigene Kosten ein weiterer Beregnungsbrunnen installiert worden. Auf diese Ackerflächen, die im Besitz der Stadt Lampertheim sind, sei die Gemeinschaft der Landwirte für die Eigenversorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten angewiesen. Wegen der historisch bedingten Realteilung müssten die Bauern ihre Anbauflächen häufig pachten und wegen der Fruchtfolge untereinander tauschen.
Breite Unterstützung gesucht
Gemüsebauer Schmidt spricht von „vorgaukeln“, wenn er daran denkt, wie die Landwirte anfänglich informiert wurden. Von Hochbauweise sei gesprochen worden, jetzt sei keine Rede mehr davon, weil vermutlich zu teuer. „Die wollten gut Wetter machen“, ist Schmidt überzeugt. „Wir praktizieren, was die Bevölkerung will“, erklärte Billau mit Hinweis auf die große Resonanz auf der Facebookseite, „viele Leute sind empört“. Auf ihrer Seite sehen die Landwirte BUND und NABU, denn auch Naturschutz gehe nicht ohne Ackerfläche und Wiesen. Im Bundesbündnis Bodenschutz, einem bundesweiten Zusammenschluss von Bürgerinitiativen, seien auch der Regionalbauernverband sowie benachbarte Bauernverbände und etliche BUND-Kreisverbände organisiert. Billau gibt bei ungebremstem Wachstum zu bedenken, dass schon in drei Generationen die Ackerverluste durch die ICE-Trasse, Straßenbau, Neubaugebiete und Gewerbeansiedlungen zur Folge haben, dass es in Südhessen keine Landwirtschaft mehr gibt. „Aber für extensive oder gar biologische Wirtschaftsweise brauchen wir wesentlich mehr Fläche“. Mit aller Kraft wollen die Landwirte gegen die Photovoltaikanlage im Bruch kämpfen. Da auch die Stadt Bürstadt an Energieried beteiligt ist, wird sich die Stadtverordnetenversammlung am Mittwochabend mit der Gründung einer Projektgesellschaft zur Entwicklung, Errichtung und zum Betrieb eines Solarparks in Lampertheim durch die Energieried GmbH & Co. KG befassen. Hannelore Nowacki