BÜRSTADT – Sportreporter und Kommentator Marcel Reif ist gefragter Experte in Sachen Fußball, im Fernsehen und in anderen Formaten präsent, der Courage-Orden 2025 des Heimat- und Carneval-Vereins Bürstadt (HCV) wurde ihm aber aus einem ganz besonderen Grund verliehen. Mit seiner Rede vor dem Bundestag am 31. Januar 2024 zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus hatte er auch den HCV-Vorstand beeindruckt und berührt, seine Haltung und Vorbildfunktion hatte ihn zum würdigen Anwärter auf den Courage-Orden gemacht, eine Auszeichnung, die der 75-jährige bereit war anzunehmen. Ein kurzer Satz aus drei Wörtern brachte seine Rede auf den zentralen Punkt, ein Satz, den Marcel Reif von seinem Vater geerbt hat, ein Appell an die Menschlichkeit in jiddischer Sprach: „Sej a Mensch!“ – „Sein ein Mensch“. Am vergangenen Sonntag im Rahmen des großen HCV-Ordensfests im Saal des Bürgerhauses mit geladenen Gästen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und zahlreichen Abordnungen und Tollitäten von Fastnachtsvereinen aus der Region war es soweit: Einzug der Ehrengäste mit der HCV-Spitze, Bürgermeisterin Barbara Schader und im Blickpunkt der designierte Courage-Ordensträger mit Laudatorin Katrin Eigendorf, die vor einem Jahr mit dem Courage-Orden geehrt wurde. HCV-Vorsitzender Frank Reichmann begrüßte mehrere Ehrengäste namentlich: Die Träger des Courage-Ordens aus früheren Jahren Klaus Schlappner (2003), Franz Lambert (2013) und Lars Reichow (2018) und Katrin Eigendorf (2024) sowie Bürgermeisterin Barbara Schader, Landrat Christian Engelhardt und die hessische Familienministerin Diana Stolz, die später auch Reden hielten. Mit etwas Wehmut sprach Bürgermeisterin Schader, denn das HCV-Jubiläumsjahr mit 6 x 11 Jahren ist zugleich ihr letztes Amtsjahr. „Man spürt einen besonderen Geist“, sagte Schader mit Blick auf den Fastnachtsverein, der auch die Heimat im Namen trägt und sich als HCV-Familie versteht. In wohlklingenden Reimen trug Landrat Engelhardt seine Rede vor. Als er den designierten Courage-Ordens-Träger mit einem Kometen am Himmel verglich, lächelte dieser. Als Mann der klaren Worte und Haltung, als Ikone der Sportberichterstattung und Stimme des Sports würdigte ihn Engelhardt. Auch Ministerin Diana Stolz hatte die passenden Reime für ihre Grußworte gefunden, um Marcel Reif zu würdigen und in das Lob einzustimmen. Grußworte des Stadt- und Jubiläumsprinzenpaars Marina II. und Markus I. folgten. Mit der jeweils gebotenen Heiterkeit und Ernsthaftigkeit führte HCV-Präsident Patrick Brenner durch den Nachmittag. Bei der Fastnacht seien 180 HCV-Mitglieder aktiv dabei, teilte er dem Publikum mit. Volles Haus bei der ersten Prunksitzung am Vorabend, die gegen null Uhr dreißig zu Ende ging, danach Tische und Bestuhlung im Bürgerhaussaal wegräumen und alles für die Ordensverleihung vorbereiten, eine bemerkenswerte Leistung der Fastnachter, wie auch Bürgermeisterin Schader fand. Die HCV-Garde und die Juniorengarde „Charisma“ unterhielten die Zuschauer mit ihrem tänzerischen Können, die fastnachtliche Brücke zur Verleihung des Courage-Ordens, verabschiedet mit einem dreifachen Helau.
Foto: Hannelore Nowacki
„Sej a Mensch!“ – „Sei ein Mensch“
Katrin Eigendorf, Journalistin und für Reportagen in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, setzte in ihrer Laudatio einen weltpolitischen Rahmen, angefangen mit ihrer Einordnung von Trumps Video-Auftritt in Davos bis hin zum Krieg in der Ukraine. Menschenwürde und Respekt als grundlegende Werte der Demokratie seien verrückbar geworden, kritisierte sie, niemand in Davos habe widersprochen oder protestiert. Hass und Hetze können nicht als Meinung debattiert werden, betonte Eigendorf. „Sej a Mensch!“ – „Sein ein Mensch“ - der sich einprägende Satz seines Vaters aus der Rede Marcel Reifs vor dem Bundestag sei in der jüdischen Kultur ein Begriff für die Werte Anstand und Mitgefühl. Sein Vater habe das Grauen der Shoa nicht an ihn weiter gegeben wollen, habe darüber geschwiegen. Überlebt hatte der Vater, weil ihn der Berthold Beitz, damals in Polen als Unternehmer tätig, vor der Deportation in ein Vernichtungslager gerettet habe. Sichtlich ergriffen vom Vortrag schien Marcel Reif wie auch das Publikum und HCV-Präsident Patrick Brenner, der ihm den Courage-Orden verlieh. Die Urkunde verlas HCV-Vorsitzender Reichmann. Mit einer kurzen Dankesrede wollte Marcel Reif einem ehernen Gesetz des Fernsehens folgen, das besage „quatsch nicht so viel“. In der Laudatio sei alles gesagt, was an dieser Stelle wichtig sei, meinte Marcel Reif. Eindringlich ruft er alle dazu auf, zu reagieren, sollte man etwas hören oder sehen, wenn etwas passiert: „Nehmen Sie ihren Mut zusammen, seien Sie Mensch, sorgen Sie dafür, dass wir weiter nach unseren Werten leben können – lassen Sie es nicht so weit kommen, dass wir Mut brauchen die Meinung zu sagen“. Der Applaus signalisierte große Zustimmung. Diese Botschaft nehme er stellvertretend für seinen Vater entgegen. „Es ist der Kompass, mehr braucht es nicht, weniger auch nicht“. Abschließend stand der Eintrag ins Goldene Buch der Stadt auf dem Programm. Das Büffet war eröffnet und während sich die Gäste die Leckerbissen munden ließen und in Gespräche vertieften, ging es auf der Bühne weiter mit der Verleihung der Jahresorden. Über den Saal hinweg schwebten Leuchtpunkte wie ein Sternenhimmel.
Hannelore Nowacki
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